Freitag, 5. Juli 2013

Schwarzbuch "Evangelische Kirche" - Verbrechen von Pfarrern u. a.

Schwarzbuch "Evangelische Kirche" - Verbrechen von Pfarrern u. a.
Nr. 55 / 2013 - Anklage: Kind vergewaltigt und Sekretärinnen sexuell missbraucht - Doch EKD-Gerichtshof stellt Verfahren gegen Oberkirchenrat ein und weigerte sich, die Opfer überhaupt anzuhören / Bischof wusste von schwerer sexueller Nötigung der Sekretärin und schritt nicht ein / EKD-Weisungen zum sexuellen Missbrauch seien "Hohn" und "Makulatur", Anzeige von Sexualverbrechen von Pfarrern bei der Kirche "sinnlos" / Eine der größten EKD-Skandale der Nachkriegsgeschichte - Der Vater des renommierten Kirchenführers H. war einst der erste lutherische Pfarrer der neu gebauten und 1939 eingeweihten "Christuskirche" in Hof an der Saale; kurz nachdem man überall im Land die jüdischen Synagogen in Schutt und Asche gelegt hatte. Schließlich bestieg Pfarrer K.H. in den 60er-Jahren dort ebenfalls die Kanzel. Als sich ein 13jähriges Mädchen 1964 wegen der Trennung ihrer Eltern Hilfe suchend an den Seelsorger wandte, reagierte dieser an dem Mädchen seine Sexualität ab. "Er hat sich ihr genähert. Er hat sie in seinem Auto mitgenommen und dort missbraucht. Er hat sie auf Waldlichtungen gefahren und dort missbraucht. Er hat sie zu Hause besucht und dort missbraucht. Er hat sie im Pfarrhaus missbraucht. Zum letzten Mal missbrauchte er sie, als er ihr an ihrem 14. Geburtstag eine Glückwunschkarte der Kirchengemeinde überbrachte. Das Mädchen war noch nicht aufgeklärt, es hatte zuvor keinen Kontakt zu Jungen und erlebte die Handlungen des Pfarrers als kompletten Albtraum. Sie wurde magersüchtig und hatte über viele Jahre gravierende gesundheitliche und psychische Probleme. Sie konnte keine normalen Freundschaften mehr knüpfen, auch Hilfe im Glauben zu finden und auf Gott zu vertrauen - das war ihr in ihrer Not nicht mehr möglich, auch später nicht", so beschreibt das Sonntagsblatt in seiner Ausgabe Nr. 27 vom 30.6.2013 die Leidensgeschichte der Frau.
Erst die Aufdeckung Hunderter und gar Tausender von Sexualverbrechen von katholischen Priestern im Jahr 2010 hätten ihr Mut gemacht, über den evangelischen Pfarrer, der ihr Leben im Kindesalter zerstörte, nach ca. 45 Jahren zu sprechen. Dieser machte zwischenzeitlich Karriere als Dekan von Ingolstadt (1967-1972), bevor er von 1972 bis 1988 ganz nach oben in die Meiserstraße in München in die Kirchenleitung befördert wurde und als Abteilungsleiter und Oberkirchenrat auch der Verantwortliche für den Evangelischen Religionsunterricht an allen Schulen in ganz Bayern wurde.
In der Zentrale der bayerischen evangelischen Landeskirche verging er sich dann an zwei Sekretärinnen. Auch hier liegen völlig unabhängig von der Anklage der Vergewaltigung des Kindes als glaubwürdig geltende Zeugenaussagen vor. "Er verschloss die Tür von innen und zeigte bei Kaffee und Keksen eine Kriegsverletzung im Genitalbereich. Dann nötigte er die Mitarbeiterin zu sexuellen Handlungen. Die junge Frau war paralysiert - und ertrug es über Monate. Aus Scham und Angst, den Job zu verlieren, konnte sie sich niemanden anvertrauen. In ihrer völligen Verzweiflung ließ sich sich nach dem Sommerurlaub 1976 einen Termin beim damaligen Landesbischof Johannes Hanselmann geben. Sie erzählte alles ... Doch passiert ist nichts. Von diesem Zeitpunkt an war für die betroffene Frau klar, dass sie mit niemandem mehr in der Landeskirche über das Geschehen reden kann."
 Nach ihrer Versetzung erging es ihrer Nachfolgerin ähnlich. "Keiner hinderte ihn [den Oberkirchenrat] daran, seine sexuellen Obsessionen weiter auszuleben." Nach außen hin war die Karriere jedoch steil:
 So schrieb der renommierte Theologe viel beachtete Fachartikel, wie z. B. die Studie Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen des Religionsunterrichts, in Klaus D. Wolff, Glaube und Gesellschaft, Mühlscher Universitätsverlag, Bayreuth 1981, S. 241ff. Auch war er von 1973-1981 einer der Vorstandsmitglieder des renommierten protestantischen bundesweit tätigen Comenius-Instituts, dessen Satzungszweck lautet: "Der Zweck des Vereins ist die Förderung von Bildung und Erziehung aus evangelischer Verantwortung." 

Da die Verbrechen wie üblich bei fast allen Straftätern im Pfarrertalar verjährt sind, beschäftigte sich nur die innerkirchliche Disziplinarkammer mit dem mittlerweile im Ruhestand lebenden Kirchenführer und suspendierte ihn aufgrund der voneinander unabhängigen Zeugenaussagen im Jahr 2011. Anfang Juni 2013 hob der EKD-Gerichtshof, das oberste evangelische Kirchengericht Deutschlands, jedoch dieses Urteil komplett auf, und Oberkirchenrat i.R. K. H. bekommt wieder seine vollen Ruhestandsbezüge, die sich an den überwiegend unmittelbar vom Staat bezahlten Oberkirchenratsgehältern orientieren und anteilig ebenfalls vom Staat, das heißt von den Steuergeldern auch von Atheisten und Andersgläubigen, bezahlt werden.
Das oberste Kirchengericht begründete sein Tun mit mehreren "Verfahrensfehlern" der Disziplinarkammer. So sei man nach Auffassung der EKD-Gerichtsbarkeit u.a. "ohne hinreichende Grundlage" damals von der "Verhandlungsunfähigkeit" des Angeklagten ausgegangen. "Außerdem seien die bayerischen Richter bei der Beweisaufnahme zu sehr an der Oberfläche geblieben und hätten nicht geklärt, aus welchen konkreten Handlungen der sexuelle Missbrauch jeweils bestanden habe" (frankenpost.de, 4.6.2013). Mit anderen Worten: Sie hätten sich von der traumatisierten Frau bzw. dem damals 13-Jährigen Mädchen mehr Detailbeschreibungen des damaligen Seelenmordes gewünscht. Dass der damalige Landesbischof Friedrich die Zeugin bei den ersten Vernehmungen begleitet habe, wurde ebenfalls zugunsten des Angeklagten gewertet: "Es ginge ihm [dem Bischof] lediglich um die Verurteilung des Angeschuldigten". Alles in allem sei die Suspension "unverhältnismäßig" gewesen. Dieses Urteil des höchsten EKD-Gerichts wurde nun aber umgekehrt im Umfeld des ersten Gerichts als schwerwiegendes "Fehlurteil" kritisiert. Aber es ist nun mal das oberste evangelische Gericht für Deutschland und steht höher als das lokale Gericht.

Einer der größten Skandale dabei ist, dass beide Opfer bereit waren, ihre Aussagen vor der EKD-Spruchkammer tatsächlich zu zu wiederholen, zu konkretisieren und die Beweisaufnahme damit zu vervollständigen, man ihnen aber nicht die Möglichkeit dazu gab. Das einst missbrauchte Mädchen wollte die Handlungen des Seelsorgers an ihr in Gegenwart ihres Peinigers Aug in Auge darlegen, und sie reiste mit ihrem Mann an, der ihr bei diesem schweren Weg zur Seite stand. Doch ihre Zeugenaussage über die schrecklichste Zeit ihres Lebens war dann an Ort und Stelle plötzlich kirchlich gar nicht mehr erwünscht, und sie durfte überhaupt nichts sagen, was sie nahezu fassungslos machte. "Sie war eigens über Hunderte von Kilometern angereist, um ihre Zeugenaussage zu wiederholen" und wurde dann von der Verhandlung im Justizgebäude in Hof an der Saale ausgeschlossen. Ihre Aussagen "seien" nun auf einmal "bedeutungslos", so die Begründung. Sie erlebte nach Ende der Verhandlung nur noch, wie ihr ehemaliger Peiniger "auf die Richter zuschritt, sich bei jedem Mitglied des Gerichts mit Handschlag dankend verabschiedete" (Sonntagsblatt).
"Wenn das Kirchengericht selbst bei bester Faktenlage, gestützt auf eine Reihe von aussagekräftigen Zeugen, sich weigert, ein rechtskräftiges Urteil zu sprechen,dann braucht kein weiteres Opfer den an ihm verübten sexuellen Missbrauch bei der Kirche anzuzeigen. Es ist sinnlos, kostet unnötig viel Lebenskraft und zehrt enorm an den Ressourcen", wird sie vom Sonntagsblatt zitiert. Das nicht angehörte Opfer erlebte das Verfahren im "Geist der finstersten Zeiten der 50er- und 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts".
Der Artikel schließt mit den Worten: "Die Broschüren und Links der EKD-Homepage im Internet über den sexuellen Missbrauch sowie EKD-Weisungen an die Landeskirchen zum Umfang mit Opfern und Tätern wirken für sie allerdings jetzt wie Hohn. ´Das ist Makulatur`- Die Einstellung des Verfahrens sieht sie als ´Schlag ins Gesicht für alle Opfer`, ´nach dem brutalen Unrecht des Missbrauchs ist das die zweite Schuld der Kirche`".
Doch die Kirche bekommt dank Ihrer Lobby-Arbeit vom Staat Jahr für Jahr Milliardensubventionen aus den allgemeinen Steuermitteln und kann sich ein solches Vorgehen immer noch erlauben. Die führenden Politiker sind nahezu alle kirchengläubige Mitglieder ihrer Institutionen und tun in der Regel, was die Kirche von ihnen will.

Das oberste Kirchengericht nahm also - ohne Opfer und Zeugen der Anklage überhaupt anzuhören (!) - die Suspension des mittlerweile [Juli 2013] 89-jährigen Oberkirchenrats zurück und stellte das Ermittlungsverfahren ein. Und dieser rechtfertigte sich dem Sonntagsblatt gegenüber lapidar mit den Worten: "Es war nichts, es ist ja nichts vorgefallen." Der hohe Würdenträger gab von drei durch Zeugenaussagen dokumentierten Sexualtaten allerdings eine zu, die allerdings "einvernehmlich" und "ohne Drohungen" gewesen sein soll. An der Tür in der Kirchenzentrale des im übrigen verheirateten Würdenträgers hing dazu jeweils das Schild "Bitte nicht stören, Diktat". Der ranghohe Amtsträger ging auch zum "Gegenangriff" über und "beklagte, dass die Zeuginnen 34 bzw. 45 Jahre gewartet hätten, um gegen ihn auszusagen", was jedoch bei Verbrechen dieser Art keine Seltenheit ist - wenn das Opfer sich überhaupt traut, irgendwann darüber zu sprechen. Dem Kirchengericht war das jedenfalls nicht ausreichend, um das Verfahren gegen den Beschuldigten fortzusetzen. Eine vierte Zeugin berichtete darüber hinaus, dass sie ebenfalls von dem Oberkirchenrat während des kirchlichen Dienstes sexuell bedrängt wurde, es jedoch schaffte, sich zu wehren. Auch dies spielte für das Gericht keine Rolle. Der hohe Würdenträger kam ohne jede Rüge auch kirchenintern davon.
Wenn also ein ehemaliger Bundespräsident und Papstkritiker sich vielleicht früher einmal eine Hotelrechnung von 300 Euro eventuell von einem Freund hat bezahlen lassen, dann ermittelt die Staatsanwaltschaft der Bundesrepublik Deutschland, und es steht in allen Zeitungen. Wenn aber ein Kirchenführer ein bei ihm Hilfe suchendes und noch nicht aufgeklärtes Kind über einen längeren Zeitraum als Pfarrer im Dienst immer wieder vergewaltigt und sein Seelenleben zerstört hat und wenn er seine Sekretärin als Oberkirchenrat im Dienst unter Ausnutzung seiner Chef-Funktion über längere Zeit sexuell genötigt und ausgebeutet hat, ist es bei fehlendem Geständnis offenbar so geringfügig, dass es unverhältnismäßig wäre, sich innerkirchlich länger damit zu beschäftigen. Der Lebenslauf des Kirchenführers bleibt deshalb zu 100 % "sauber". So berichteten auch kaum Medien in Deutschland darüber.
 Zwangsläufig denkt man bei diesen Berichten jedoch auch an die Vertuschungs-, und Deckungs-Konglomerate in der römisch-katholischen Kirche und an das dunkle Prinzip "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus". Als nämlich der Vatikan 2013 die Suspension eines pädophilen Straftäters nach dessen Haftentlassung nicht aufhob und wenigstens einmal durchzugreifen schien, nannte dieser gleich die Namen von mindestens neun weiteren Priestern und Prälaten, die Sex mit Jugendlichen hatten, nach denen Zuhälter auf den Straßen Roms Ausschau gehalten hatten. 
Wenn also das Opfer in dem Verfahren vor dem höchsten evangelischen Gericht von der Verhandlung gegen den Täter und Oberkirchenrat i.R. ausgeschlossen wurde, so sollte zumindest die Rückfrage gestellt werden: Was genau sollten Opfer und Außenstehende nicht hören? Wurde womöglich etwas gezielt verheimlicht und vertuscht? Hatte der Angeschuldigte möglicherweise die eine oder andere "Information" über Dritte in der Hinterhand, die nicht auch noch öffentlich werden sollte?

Zu all´ dem passt einmal mehr das bekannte Lutherwort, das sich viele seiner verbrecherischen Nachfolger in ihr Gebetbuch geschrieben haben: "Sündige tapfer, aber glaube noch tapferer". So würdigten die Richter der EKD in diesem Fall auch ausdrücklich, "dass sich der Angeschuldigte seither nichts zuschulden habe kommen lassen, sondern erfolgreich für die Kirche gewirkt habe" (die sinngemäße Standardformulierung z. B. auch für frühere Nazi-Pfarrer, deren Verhalten kirchlich gerechtfertigt wird). In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Verfahren und den zugrunde liegenden Anschuldigungen jedoch um einen der größten EKD-Skandale der Nachkriegsgeschichte - nach dem Skandal über den EKD-Erziehungs-Sachverständigen Gerold Becker, der reihenweise Jungen sexuell missbraucht hatte.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen