Mittwoch, 28. September 2011

Angeklagt: Der Papst


Vorwort von Geoffrey Robertson

Zu Ostern 2010 schrieb ich einen kurzen Kommentar für den Guardian und die Daily Beast. Man erwartete damals eine Stellungnahme Papst Benedikts XVI. – die dann allerdings ausblieb – zu der Krise seiner Kirche aufgrund der Enthüllungen über sexuellen Missbrauch durch Kleriker in der ganzen Welt. Ich führte damals aus, dass Vergewaltigung und Missbrauch von Kindern in ausgedehntem und systematischem Maßstab auf ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten, und der Leiter einer Organisation, die die Täter vor der Justiz schütze, unter Umständen nach internationalem Recht „Befehlsverantwortung“ trage. Zudem sei der (kürzlich wieder zu seinen Gunsten von der Bush-Regierung vor US-Gerichten vorgetragene) Anspruch des Papstes auf Straffreiheit als Oberhaupt eines Staates, nämlich des Heiligen Stuhls, ernsthaft in Frage zu stellen, beruhe er doch auf einem schmutzigen Handel mit Mussolini aus dem Jahr 1929, der nicht vergleichbar sei mit der Übertragung von Souveränität an ein unabhängiges Volk.
Es sei ein Fehler der UNO gewesen, der katholischen Kirche einen hochtrabenden Status einzuräumen, der allen anderen Religionen und Nicht-Regierungs-Organisationen verwehrt bleibe.Mein Beitrag wäre zweifellos unbeachtet geblieben, hätte nicht ein umtriebiger Redakteur die Überschrift „Den Papst auf die Anklagebank!“ darübergesetzt, was als innovatives Konzept sofort weltweit Schlagzeilen machte. Bald wurden mein alter Freund Christopher Hitchens, der mein Interesse an dem Thema geweckt hatte, sowie Richard Dawkins und Sam Harris, die meinen Beitrag unterstützten, in das – so die absurde Titulierung der Boulevardpresse – „Komplott zur Verhaftung des Papstes“ hineingezogen.
 
In der Sensation ging mein ursprüngliches Argument unter, dass nämlich Päpste nicht vor gerichtlichen Verfahren sicher sind, und wenn der Vatikan sich nicht seiner vom Schutz pädophiler Priester geprägten Vergangenheit stellt und den Anspruch aufgibt, nach kanonischem Recht mit ihnen zu verfahren, könnte sein Leiter durchaus auf Schadenersatz verklagt oder zum Gegenstand von Ermittlungen durch den Ankläger eines internationalen Gerichtshofs werden.
 
Es ist eine Tatsache, dass Zehntausende Kinder weltweit sexuell missbraucht worden sind – von Priestern, mit denen zumeist heimlich auf Basis eines Kirchenrechts verfahren wurde, das keine wirkliche Bestrafung vorsieht und ihnen reichlich Gelegenheit zu neuen Straftaten bietet. Erstaunlicherweise wurde dies bislang nie als grober Menschenrechtsverstoß angesehen, weder vom ineffektiven UNO-Ausschuss zur Überwachung der Kinderrechtskonvention noch von Staaten wie den USA oder Großbritannien, die Berichte zu schwerwiegenden Menschenrechtsverstößen veröffentlichen, und auch nicht von Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch. Teilweise mag dies auf die guten Werke so vieler Katholiken und katholischer Hilfsorganisationen wie Caritas und CAFOD zurückzuführen sein, die ich sehr schätze und denen ich von vornherein meine Anerkennung ausspreche. 
 
Aber es ist auch eine Folge der fälschlichen Anerkennung dieser religiösen Organisation als Staat, mit schlagkräftigen diplomatischen Beziehungen zu Regierungen und einem „seligmachenden“ Oberhaupt, zu dem politische Führer pilgern, um gesegnet zu werden. Der Gedanke, dass dieser Mann des Friedens und der moralischen Grundsätze vor einem völkerrechtlichen Verbrechen die Augen verschließen könnte, liegt für sie außerhalb jeder Vorstellung.Zweifellos aber konnte der Missbrauchsskandal dieses Ausmaß nur annehmen wegen der Vorgaben aus dem Vatikan und insbesondere der Glaubenskongregation, die verlangte, dass sämtliche Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs unter äußerster Geheimhaltung abzuhandeln und der örtlichen Polizei und Justiz vorzuenthalten seien – gemäß einem kanonischen Recht, das überholt, ineffektiv und nicht auf Bestrafung ausgerichtet war. Der Heilige Stuhl beansprucht das Recht auf ein solches Vorgehen als eines seiner Privilegien als „Staat“, zusammen mit dem alleinigen Recht, bei der UNO seine theologischen Vorstellungen zu vertreten und Lobbyarbeit dafür zu betreiben: Homosexualität ist „schlecht“, desgleichen die Ehescheidung; Frauen haben keine Entscheidungsfreiheit, nicht einmal, wenn es um die Vermeidung von Schwangerschaften infolge Vergewaltigung oder Inzest geht; die Invitrofertilisation ist etwas Unrechtes, da sie Masturbation voraussetzt; der Gebrauch von Kondomen, selbst zur Vermeidung von Aids innerhalb der Ehe, ist auf keinen Fall gutzuheißen. Die mit der Staatseigenschaft einhergehende politische Macht wirkte betörend auf einen Papst, der – als Josef Kardinal Ratzinger – von 1981 bis 2005 Präfekt und damit Vorsitzender der Glaubenskongregation war, und während dessen Amtszeit sich der sexuelle Missbrauch zum großen Teil ereignete. Wie viel vom tatsächlichen Ausmaß ihm bekannt war, wie die Täter in immer neue Gemeinden versetzt wurden, wie sie ins Ausland verschoben und vor den örtlichen Strafverfolgungsbehörden versteckt wurden, wird erst deutlich werden, wenn die Glaubenskongregation ihre Akten offenlegen muss, doch liegen mittlerweile genügend Beweismittel vor, um seine moralische Verantwortung – und die von Johannes Paul II. – zum Gegenstand besorgter Debatten werden zu lassen. Sein Anspruch auf hoheitliche Immunität macht die Frage nach seiner rechtlichen Verantwortung zusätzlich kompliziert, aber in einer Zeit, in der sich Benedikt XVI. gegen grundlegende Reformen stemmt, sollte man wohl die Frage stellen, ob der Papst der letzte Mensch dieser Welt sein soll, der über dem Recht steht.
  Ich bin, wie stets, meinem Freund Mark Stephens zu Dank verpflichtet für seine Unterstützung, und Jen Robinson für herausragende Recherchen und Kenntnisse. Für zusätzliches Material danke ich Matthew Albert, Lionel Nichols, Stephen Powles und Angela Giannotti und meiner Assistentin Judy Rollinson. Dankbar bin ich auch Tina Brown für ihre Ermutigung und Caroline Michel, meiner Agentin, die mich zu diesem Buch inspirierte, während Stefan McGrath und Will Goodlad bei Penguin seine Veröffentlichung in Rekordzeit zu arrangieren wussten und mit der Beibehaltung der nummerierten Absätze einverstanden waren, in denen ich als Anwalt denke und schreibe. Die Veröffentlichung als „Penguin Special“ – dem ersten seit 1989 – im Jahr des 75. Geburtstags von Penguin ist eine besondere Ehre. Und schließlich danke ich meiner Frau Kathy Lette, einer ehemaligen Katholikin. 

Doughty Street Chambers
9. August 2010


Anbei Film-Interview:
http://www.angeklagt-der-papst.de/interviews/filminterview-vom-1682011/index.html
Interview mit Geoffrey Robertson:
http://www.angeklagt-der-papst.de/interviews/interview-vom-482011-mit-download/index.html

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