Vorwort von Geoffrey Robertson
Zu Ostern 2010 schrieb ich einen kurzen Kommentar für den
Guardian und die Daily Beast. Man erwartete damals eine Stellungnahme
Papst Benedikts XVI. – die dann allerdings ausblieb – zu der Krise
seiner Kirche aufgrund der Enthüllungen über sexuellen Missbrauch durch
Kleriker in der ganzen Welt. Ich führte damals aus, dass Vergewaltigung
und Missbrauch von Kindern in ausgedehntem und systematischem Maßstab
auf ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten, und
der Leiter einer Organisation, die die Täter vor der Justiz schütze,
unter Umständen nach internationalem Recht „Befehlsverantwortung“ trage.
Zudem sei der (kürzlich wieder zu seinen Gunsten von der Bush-Regierung
vor US-Gerichten vorgetragene) Anspruch des Papstes auf Straffreiheit
als Oberhaupt eines Staates, nämlich des Heiligen Stuhls, ernsthaft in
Frage zu stellen, beruhe er doch auf einem schmutzigen Handel mit
Mussolini aus dem Jahr 1929, der nicht vergleichbar sei mit der
Übertragung von Souveränität an ein unabhängiges Volk.
Es sei ein Fehler
der UNO gewesen, der katholischen Kirche einen hochtrabenden Status
einzuräumen, der allen anderen Religionen und
Nicht-Regierungs-Organisationen verwehrt bleibe.Mein
Beitrag wäre zweifellos unbeachtet geblieben, hätte nicht ein
umtriebiger Redakteur die Überschrift „Den Papst auf die Anklagebank!“
darübergesetzt, was als innovatives Konzept sofort weltweit Schlagzeilen
machte. Bald wurden mein alter Freund Christopher Hitchens, der mein
Interesse an dem Thema geweckt hatte, sowie Richard Dawkins und Sam
Harris, die meinen Beitrag unterstützten, in das – so die absurde
Titulierung der Boulevardpresse – „Komplott zur Verhaftung des Papstes“
hineingezogen.
In der Sensation ging mein ursprüngliches Argument unter,
dass nämlich Päpste nicht vor gerichtlichen Verfahren sicher sind, und
wenn der Vatikan sich nicht seiner vom Schutz pädophiler Priester
geprägten Vergangenheit stellt und den Anspruch aufgibt, nach
kanonischem Recht mit ihnen zu verfahren, könnte sein Leiter durchaus
auf Schadenersatz verklagt oder zum Gegenstand von Ermittlungen durch
den Ankläger eines internationalen Gerichtshofs werden.
Es
ist eine Tatsache, dass Zehntausende Kinder weltweit sexuell
missbraucht worden sind – von Priestern, mit denen zumeist heimlich auf
Basis eines Kirchenrechts verfahren wurde, das keine wirkliche
Bestrafung vorsieht und ihnen reichlich Gelegenheit zu neuen Straftaten
bietet. Erstaunlicherweise wurde dies bislang nie als grober
Menschenrechtsverstoß angesehen, weder vom ineffektiven UNO-Ausschuss
zur Überwachung der Kinderrechtskonvention noch von Staaten wie den USA
oder Großbritannien, die Berichte zu schwerwiegenden
Menschenrechtsverstößen veröffentlichen, und auch nicht von
Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch.
Teilweise mag dies auf die guten Werke so vieler Katholiken und
katholischer Hilfsorganisationen wie Caritas und CAFOD zurückzuführen
sein, die ich sehr schätze und denen ich von vornherein meine
Anerkennung ausspreche.
Aber es ist auch eine Folge der fälschlichen
Anerkennung dieser religiösen Organisation als Staat, mit
schlagkräftigen diplomatischen Beziehungen zu Regierungen und einem
„seligmachenden“ Oberhaupt, zu dem politische Führer pilgern, um
gesegnet zu werden. Der Gedanke, dass dieser Mann des Friedens und der
moralischen Grundsätze vor einem völkerrechtlichen Verbrechen die Augen
verschließen könnte, liegt für sie außerhalb jeder Vorstellung.Zweifellos
aber konnte der Missbrauchsskandal dieses Ausmaß nur annehmen wegen der
Vorgaben aus dem Vatikan und insbesondere der Glaubenskongregation, die
verlangte, dass sämtliche Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs unter
äußerster Geheimhaltung abzuhandeln und der örtlichen Polizei und Justiz
vorzuenthalten seien – gemäß einem kanonischen Recht, das überholt,
ineffektiv und nicht auf Bestrafung ausgerichtet war. Der Heilige Stuhl
beansprucht das Recht auf ein solches Vorgehen als eines seiner
Privilegien als „Staat“, zusammen mit dem alleinigen Recht, bei der UNO
seine theologischen Vorstellungen zu vertreten und Lobbyarbeit dafür zu
betreiben: Homosexualität ist „schlecht“, desgleichen die Ehescheidung;
Frauen haben keine Entscheidungsfreiheit, nicht einmal, wenn es um die
Vermeidung von Schwangerschaften infolge Vergewaltigung oder Inzest
geht; die Invitrofertilisation ist etwas Unrechtes, da sie Masturbation
voraussetzt; der Gebrauch von Kondomen, selbst zur Vermeidung von Aids
innerhalb der Ehe, ist auf keinen Fall gutzuheißen. Die
mit der Staatseigenschaft einhergehende politische Macht wirkte
betörend auf einen Papst, der – als Josef Kardinal Ratzinger – von 1981
bis 2005 Präfekt und damit Vorsitzender der Glaubenskongregation war,
und während dessen Amtszeit sich der sexuelle Missbrauch zum großen Teil
ereignete. Wie viel vom tatsächlichen Ausmaß ihm bekannt war, wie die
Täter in immer neue Gemeinden versetzt wurden, wie sie ins Ausland
verschoben und vor den örtlichen Strafverfolgungsbehörden versteckt
wurden, wird erst deutlich werden, wenn die Glaubenskongregation ihre
Akten offenlegen muss, doch liegen mittlerweile genügend Beweismittel
vor, um seine moralische Verantwortung – und die von Johannes Paul II. –
zum Gegenstand besorgter Debatten werden zu lassen. Sein Anspruch auf
hoheitliche Immunität macht die Frage nach seiner rechtlichen
Verantwortung zusätzlich kompliziert, aber in einer Zeit, in der sich
Benedikt XVI. gegen grundlegende Reformen stemmt, sollte man wohl die
Frage stellen, ob der Papst der letzte Mensch dieser Welt sein soll, der
über dem Recht steht.
Ich bin, wie stets, meinem Freund Mark Stephens zu Dank
verpflichtet für seine Unterstützung, und Jen Robinson für herausragende
Recherchen und Kenntnisse. Für zusätzliches Material danke ich Matthew
Albert, Lionel Nichols, Stephen Powles und Angela Giannotti und meiner
Assistentin Judy Rollinson. Dankbar bin ich auch Tina Brown für ihre
Ermutigung und Caroline Michel, meiner Agentin, die mich zu diesem Buch
inspirierte, während Stefan McGrath und Will Goodlad bei Penguin seine
Veröffentlichung in Rekordzeit zu arrangieren wussten und mit der
Beibehaltung der nummerierten Absätze einverstanden waren, in denen ich
als Anwalt denke und schreibe. Die Veröffentlichung als „Penguin
Special“ – dem ersten seit 1989 – im Jahr des 75. Geburtstags von
Penguin ist eine besondere Ehre. Und schließlich danke ich meiner Frau
Kathy Lette, einer ehemaligen Katholikin.
Doughty Street Chambers
9. August 2010
Anbei Film-Interview:
http://www.angeklagt-der-papst.de/interviews/filminterview-vom-1682011/index.html
Interview mit Geoffrey Robertson:
http://www.angeklagt-der-papst.de/interviews/interview-vom-482011-mit-download/index.html
Doughty Street Chambers
9. August 2010
Anbei Film-Interview:
http://www.angeklagt-der-papst.de/interviews/filminterview-vom-1682011/index.html
Interview mit Geoffrey Robertson:
http://www.angeklagt-der-papst.de/interviews/interview-vom-482011-mit-download/index.html
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